Diesen Text habe ich ursprünglich für eine Übung am Kunstgeschichte Institut der Uni Wien geschrieben und für diesen Blogbeitrag etwas adaptiert. Die Fragestellung dazu war: Welche Mittel setzt die Retrospektive im Belvedere 21 ein, um Hans Haackes konzeptuelle Auseinandersetzung mit Macht- und Informationssystemen erfahrbar zu machen?
Das Belvedere 21, ein Bau der Nachkriegsmoderne von Karl Schwanzer, steht sinnbildlich für Transparenz, Fortschrittsoptimismus und institutionelle Repräsentation – eine symbolisch aufgeladene Kulisse für die Retrospektive von Hans Haacke, der sich kritisch mit den Bedingungen von Ausstellung, Repräsentation und Macht auseinandergesetzt hat. Die Ausstellung, kuratiert von Luisa Ziaja (Belvedere 21) und Ingrid Pfeiffer (Schirn Kunsthalle Frankfurt), versammelt zentrale Werke aus über sechs Jahrzehnten und macht so die Kontinuität und Dringlichkeit von Haackes künstlerischer Praxis sichtbar. Der Schwerpunkt liegt dabei auf seiner Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, Besitzstrukturen und institutionellen Mechanismen – Themen, die in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit nichts an Aktualität verloren haben.
Legende der politischen Konzeptkunst
Gleich auf der ersten Wand nach dem Eingang in die Ausstellung im Erdgeschoss des Belvedere 21, liest man einen einordnenden Wandtext, der Hans Haacke als „Legende der politischen Konzeptkunst“ und „Gründungsfigur“ beschreibt. Diese starke Aussage signalisiert, dass es hier nicht um eine reine Werkschau geht, sondern um ein politisch aufgeladenes Statement. Die Besucher:innen werden eingeladen, sich mit einer Kunstform auseinanderzusetzen, die auf Erkenntnis setzt. Der ursprünglich offene, lichtdurchflutete Raum wird durch Stellwände stark strukturiert. Die Glasfassaden sind weitgehend abgedeckt – der Blick nach außen ist versperrt. Diese bewusste Einschränkung des Raums wirkt beinahe hermetisch, lässt den Fokus ganz auf den Arbeiten. Die nüchterne Beleuchtung, die sachliche Hängung, die textlastige Vermittlung unterstreichen Haackes Kunst, die nicht gefallen will, sondern etwas zur Diskussion stellt.
Kuratorisch folgt die Ausstellung einer chronologischen und thematischen Struktur, wobei Haackes Frühwerk aus den 1960er Jahren den Auftakt im Raum bildet. Hier untersucht der Künstler physikalische, biologische und ökologische Systeme. Der Large Condensation Cube (1963–67), ein Plexiglaskubus mit eingeschlossener Feuchtigkeit, in dem sich Kondenswasser bildet, macht Prozesse des Werdens und Vergehens sichtbar. Auch der Schwimmende Eisring verweist auf Umwelteinflüsse, nicht symbolisch, sondern physisch. Haacke interessiert sich für reale Systeme – und deren Sichtbarmachung im Ausstellungsraum. Im weiteren Verlauf der Ausstellung verschiebt sich der Fokus: Von der Beobachtung natürlicher Prozesse hin zur Analyse gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen. Hans Haacke recherchiert, sammelt Daten, wertet aus und übersetzt seine Erkenntnisse in künstlerische Formate, die sich bewusst zwischen Dokumentation und Kunst positionieren. Daher findet man in der Ausstellung sehr viele großformatige Plakate bzw. Poster die auf den ersten Blick nicht als typisches Kunstwerk erkennbar sind, aber – wenn man sich darauf einlässt – viel mehr Tiefe bieten als oberflächlich erkennbar ist. Im Folgenden sollen zwei ausgewählte Werke näher betrachtet werden, um die Ausgangsfrage zu beleuchten.
Manet-PROJEKT ’74 – Spargel-Stillleben
Diese Arbeit nimmt ein Gemälde von Édouard Manet zum Ausgangspunkt – ein Stillleben mit Spargel, das Haacke um eine detaillierte Dokumentation der Besitz- und Sammlungsgeschichte ergänzt. So wird das Werk zum Beispiel einer ideologischen Aufladung: Kunst wird als abhängig von Märkten, Mäzen:innen und Museumsstrategien inszeniert. So legt Haacke offen, dass etwa der Mäzen des Wallraf-Richartz-Museum, Hermann Joseph Abs, die Enteignung jüdischer Personen im Dritten Reich für sich nutzte und das die Provenienz des Manet-Stillleben in dieser Hinsicht fragwürdig ist.
Shapolsky et al.
Shapolsky et al. – eine minutiöse Auflistung von 142 Immobilien in New York, fotografisch dokumentiert und mit Daten aus Grundbuchämtern ergänzt. Die Arbeit analysiert die Besitzstruktur eines Immobilienkonglomerats – nüchtern. Besonders heikel: Das Werk sollte 1971 im MoMA ausgestellt werden, wurde aber kurz vor der Eröffnung zensiert. Der damalige Direktor Thomas Messer begründete dies mit der Aussage, Haacke bringe die „böse Außenwelt wie einen Virus in die reine Welt der Kunst“. Ein Wendepunkt: Haacke galt fortan als Symbolfigur einer neuen politisch konfrontativen Kunst. Die Präsentation im Belvedere greift diese Geschichte auf: Shapolsky et al. ist wie ein Archivraum inszeniert – still, zurückgenommen, fast dokumentarisch. Gerade dadurch entfaltet sich die kritische Kraft des Werks. Die gesamte Ausstellung setzt auf eine klare Vermittlung. Die Wandtexte sind informativ, kontextstark und verzichten auf akademische Überfrachtung. Erwähnenswert ist die digitale Begleitung: Während die Website des Kooperationspartners Schirn ausführlich über Werke, Themen und Kontexte informiert und auch sehr verständliche Podcasts bereit stellt, hält sich das Belvedere 21 online eher zurück. NebenAusstellungsinformation, Biographie und einem Katalog, stehen auch Wandtexte als PDF-Download zur Verfügung. Außerdem gibt es einige Videos – eine pragmatische, aber nicht besonders engagierte digitale Erweiterung des Ausstellungsraums.
Fazit
Die Retrospektive setzt auf mehrere ineinandergreifende Mittel, um die Auseinandersetzung mit Macht- und Informationssystemen erfahrbar zu machen: eine reduzierte, überwiegend sachliche Ausstellungsarchitektur, die Haackes konzeptueller Ästhetik entspricht, eine kuratorische Ordnung, die Werke chronologisch und thematisch strukturiert, sowie eine Vermittlung, die das Publikum nicht überfordert, sondern informiert und aktiviert. Insbesondere die klare Textvermittlung und deren ruhige, oft fast dokumentarisch anmutende Präsentation ermöglichen es, die inhaltliche Tiefe von Haackes Arbeiten tatsächlich zu verstehen.Damit wird die zentrale Fragestellung eingelöst: Die Retrospektive übersetzt Haackes konzeptuelle Kritik nicht nur in Inhalte, sondern auch in Räume und Rhythmen, die es den Besucher:innen erlauben, selbst Teil eines kritischen Erkenntnisprozesses zu werden, wenn sie es wollen und bereit sind, sich auf die Begleittexte einzulassen.
Die Hans Haacke Retrospektive war vom 1. März bis 9. Juni 2025 im Belvedere 21 zu sehen.
Diesen Text habe ich ursprünglich für eine Übung am Kunstgeschichte Institut der Uni Wien geschrieben und für diesen Blogbeitrag etwas adaptiert. Die Fragestellung dazu war: Welche Mittel setzt die Retrospektive im Belvedere 21 ein, um Hans Haackes konzeptuelle Auseinandersetzung mit Macht- und Informationssystemen erfahrbar zu machen?
Das Belvedere 21, ein Bau der Nachkriegsmoderne von Karl Schwanzer, steht sinnbildlich für Transparenz, Fortschrittsoptimismus und institutionelle Repräsentation – eine symbolisch aufgeladene Kulisse für die Retrospektive von Hans Haacke, der sich kritisch mit den Bedingungen von Ausstellung, Repräsentation und Macht auseinandergesetzt hat. Die Ausstellung, kuratiert von Luisa Ziaja (Belvedere 21) und Ingrid Pfeiffer (Schirn Kunsthalle Frankfurt), versammelt zentrale Werke aus über sechs Jahrzehnten und macht so die Kontinuität und Dringlichkeit von Haackes künstlerischer Praxis sichtbar.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf seiner Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, Besitzstrukturen und institutionellen Mechanismen – Themen, die in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit nichts an Aktualität verloren haben.
Legende der politischen Konzeptkunst
Gleich auf der ersten Wand nach dem Eingang in die Ausstellung im Erdgeschoss des Belvedere 21, liest man einen einordnenden Wandtext, der Hans Haacke als „Legende der politischen Konzeptkunst“ und „Gründungsfigur“ beschreibt. Diese starke Aussage signalisiert, dass es hier nicht um eine reine Werkschau geht, sondern um ein politisch aufgeladenes Statement. Die Besucher:innen werden eingeladen, sich mit einer Kunstform auseinanderzusetzen, die auf Erkenntnis setzt. Der ursprünglich offene, lichtdurchflutete Raum wird durch Stellwände stark strukturiert. Die Glasfassaden sind weitgehend abgedeckt – der Blick nach außen ist versperrt. Diese bewusste Einschränkung des Raums wirkt beinahe hermetisch, lässt den Fokus ganz auf den Arbeiten. Die nüchterne Beleuchtung, die sachliche Hängung, die textlastige Vermittlung unterstreichen Haackes Kunst, die nicht gefallen will, sondern etwas zur Diskussion stellt.
Kuratorisch folgt die Ausstellung einer chronologischen und thematischen Struktur, wobei Haackes Frühwerk aus den 1960er Jahren den Auftakt im Raum bildet. Hier untersucht der Künstler physikalische, biologische und ökologische Systeme. Der Large Condensation Cube (1963–67), ein Plexiglaskubus mit eingeschlossener Feuchtigkeit, in dem sich Kondenswasser bildet, macht Prozesse des Werdens und Vergehens sichtbar. Auch der Schwimmende Eisring verweist auf Umwelteinflüsse, nicht symbolisch, sondern physisch. Haacke interessiert sich für reale Systeme – und deren Sichtbarmachung im Ausstellungsraum. Im weiteren Verlauf der Ausstellung verschiebt sich der Fokus: Von der Beobachtung natürlicher Prozesse hin zur Analyse gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen. Hans Haacke recherchiert, sammelt Daten, wertet aus und übersetzt seine Erkenntnisse in künstlerische Formate, die sich bewusst zwischen Dokumentation und Kunst positionieren. Daher findet man in der Ausstellung sehr viele großformatige Plakate bzw. Poster die auf den ersten Blick nicht als typisches Kunstwerk erkennbar sind, aber – wenn man sich darauf einlässt – viel mehr Tiefe bieten als oberflächlich erkennbar ist. Im Folgenden sollen zwei ausgewählte Werke näher betrachtet werden, um die Ausgangsfrage zu beleuchten.
Manet-PROJEKT ’74 – Spargel-Stillleben
Diese Arbeit nimmt ein Gemälde von Édouard Manet zum Ausgangspunkt – ein Stillleben mit Spargel, das Haacke um eine detaillierte Dokumentation der Besitz- und Sammlungsgeschichte ergänzt. So wird das Werk zum Beispiel einer ideologischen Aufladung: Kunst wird als abhängig von Märkten, Mäzen:innen und Museumsstrategien inszeniert. So legt Haacke offen, dass etwa der Mäzen des Wallraf-Richartz-Museum, Hermann Joseph Abs, die Enteignung jüdischer Personen im Dritten Reich für sich nutzte und das die Provenienz des Manet-Stillleben in dieser Hinsicht fragwürdig ist.
Shapolsky et al.
Shapolsky et al. – eine minutiöse Auflistung von 142 Immobilien in New York, fotografisch dokumentiert und mit Daten aus Grundbuchämtern ergänzt. Die Arbeit analysiert die Besitzstruktur eines Immobilienkonglomerats – nüchtern. Besonders heikel: Das Werk sollte 1971 im MoMA ausgestellt werden, wurde aber kurz vor der Eröffnung zensiert. Der damalige Direktor Thomas Messer begründete dies mit der Aussage, Haacke bringe die „böse Außenwelt wie einen Virus in die reine Welt der Kunst“. Ein Wendepunkt: Haacke galt fortan als Symbolfigur einer neuen politisch konfrontativen Kunst. Die Präsentation im Belvedere greift diese Geschichte auf: Shapolsky et al. ist wie ein Archivraum inszeniert – still, zurückgenommen, fast dokumentarisch. Gerade dadurch entfaltet sich die kritische Kraft des Werks. Die gesamte Ausstellung setzt auf eine klare Vermittlung. Die Wandtexte sind informativ, kontextstark und verzichten auf akademische Überfrachtung. Erwähnenswert ist die digitale Begleitung: Während die Website des Kooperationspartners Schirn ausführlich über Werke, Themen und Kontexte informiert und auch sehr verständliche Podcasts bereit stellt, hält sich das Belvedere 21 online eher zurück. NebenAusstellungsinformation, Biographie und einem Katalog, stehen auch Wandtexte als PDF-Download zur Verfügung. Außerdem gibt es einige Videos – eine pragmatische, aber nicht besonders engagierte digitale Erweiterung des Ausstellungsraums.
Fazit
Die Retrospektive setzt auf mehrere ineinandergreifende Mittel, um die Auseinandersetzung mit Macht- und Informationssystemen erfahrbar zu machen: eine reduzierte, überwiegend sachliche Ausstellungsarchitektur, die Haackes konzeptueller Ästhetik entspricht, eine kuratorische Ordnung, die Werke chronologisch und thematisch strukturiert, sowie eine Vermittlung, die das Publikum nicht überfordert, sondern informiert und aktiviert. Insbesondere die klare Textvermittlung und deren ruhige, oft fast dokumentarisch anmutende Präsentation ermöglichen es, die inhaltliche Tiefe von Haackes Arbeiten tatsächlich zu verstehen.Damit wird die zentrale Fragestellung eingelöst: Die Retrospektive übersetzt Haackes konzeptuelle Kritik nicht nur in Inhalte, sondern auch in Räume und Rhythmen, die es den Besucher:innen erlauben, selbst Teil eines kritischen Erkenntnisprozesses zu werden, wenn sie es wollen und bereit sind, sich auf die Begleittexte einzulassen.