Kunsthalle Wien: ein Neustart!

Die Kunsthalle Wien ist zurück! Das neue Kuratorinnen-Kollektiv (WHW: Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović) zeigt in ihrer ersten Ausstellung „…von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden“ nicht zuletzt ihre künstlerischen und politischen Interessen  – man darf sich jetzt schon auf die nächsten Projekte freuen. Im großartigen Büchlein zur Ausstellung liest man, dass der Ausstellungstitel die Gedanken des libanesischen Schriftstellers Bilal Khbeiz zitiert; es geht um Dinge, die den Unterschied zwischen den Träumen der Menschen im Globalen Süden und der im Westen ausmachen. Es geht also um die Vorstellung des guten Lebens, das nicht für alle erreichbar ist es nicht mehr gibt.

Zwischen Dystopie und Ironie

Die Gesamtheit der Ausstellung in der Kunsthalle Wien lässt sich gar nicht in einem Blogartikel zusammenfassen, denn die Vielfalt auf drei Stockwerken ist groß: Videoinstallationen auf Screens bzw. eigenen Räumen, Projektionen, Leuchtschriften, Auszüge aus aktivistischen Kampagnen, Interviews, Dokumentationen, Installationen, Wandtteppiche, Protestschilder, Gemälde, Gedichte, ausgestopfte Tiere, geschmolzene Radkappen und vieles mehr. Die Ausstellung führt Besucherinnen weg vom (oft) gemütlichen Leben in tu felix austria hinein in Klimakrisen, politische Eskalationen, den übermäßigen und rücksichtslosen Konsum. Der Überwachungsstaat ist präsent und es wird auch dystopisch.

Die Vorstellung vom „guten Leben“ ist eine Fantasie, eine hartnäckige und „grausame Anhänglichkeit“ an eine Welt, die es nicht mehr gibt. –WHW

Eindrucksvoll

Noch am Weg in die eigentliche Ausstellung trifft man auf einige Laibe Brot, die entweder Kuchen oder Steine oben auf liegen haben. For Marie Antoinette ’68 ist eine Intervention von Mladen Stilinović, einem Konzeptkünstler aus Zagreb, der 2016 gestorben ist. Seine Laibe führen die Besucherin direkt in ein weiteres Werk von ihm, das mich sehr an Christoph Schlingensief erinnert hat. Es nennt sich Money Environment und stammt aus dem Jahr 1980. Geldscheine hängen von der Decke und €-Münzen liegen am Boden. Wenn der Raum unsere Gesellschaft ist, hat man also immer irgendwie mit Geld zu tun. Die großen Scheine sind so gehängt, dass man sie gerade nicht erreicht bzw. sehr hoch springen muss, damit man sie runter“zupfen“ kann.

Mladen Stilinović: For Marie Antoinette ’68, Fotocredit: Fridays at the museum

Im Erdgeschoss der Kunsthalle Wien trifft man auf eine Werkgruppe von HC Playner: eine Installation mit Objekten, die für die Burschenschaft Hysteria stehen, bei der sie auch selbst Mitglied sind. Solltest du Hysteria noch nicht kennen, empfehle ich einen Blick auf den Wikipedia-Eintrag zu werfen. Hoch lebe das goldene Matriarchat!

HC Playner: Ausschnitt Werkgruppe Hysteria

HC Playner: Ausschnitt Werkgruppe Hysteria, Erleuchtete Hyäne

Die Arbeit Heads von Andreas Siekmann besteht aus 47 Büsten aus Plastilin. Ein billiges Material, mit dem er die „wohlhabenden Väter und Mütter des Kapitalismus“ formt. Jede Büste ist mit einer Art Tag versehen. Darauf ist der Name und eine Beschreibung der „Errungenschaften“ der Person zu lesen. Eine Kritik der herrschenden Machtverhältnisse, die ironische dargestellt wird. Die Geschichte des neoliberalen kapitalistischen Systems.

Andreas Siekmann: Heads, Fotocredit: Fridays at the museum

Andreas Siekmann: Heads, Fotocredit: Fridays at the museum

Dan Perjovschi folgt der Besucherin mit The Start Drawing and The End Drawing durch die gesamte Ausstellung: seine feinen, kritischen Kommentare verewigt er in einer Art Tagebuch an den Wänden der Kunsthalle. Er bezieht sich dabei auf globale Nachrichtenthemen und allgemeine gesellschaftliche Phänomene sowie auf Fragen, die ihn persönlich betreffen.

Dan Perjovschi, The Start Drawing and The End Drawing (Ausschnitt), Fotocredit: Fridays at the museum

Der Balance Beam #0616 von Vlatka Horvat hat mich ebenfalls am Weg durch die Ausstellung „gestoppt“. Im wahrsten Sinne des Wortes – nimmt er doch beträchtlichen Raum ein. Auf einem schmalen Holzbalken sind eine Reihe gefundener Objekte platziert. Die Balken sind weni stabil – jederzeit kann hier alles schief gehen. Eine Erinnerung an unsere Welt, die „ständig am Rande einer Katastrophe schwebt“.

Vlatka Horvat: Balance Beam, Fotocredit: Fridays at the Museum

Ines Doujak erzählt mit drei Figuren und einer Tonspur die Geschichte, wie der internationale Kapitalismus das Land Boliven negativ beeinflusst. Besonders real (und gleichzeitig auch irgendwie surreal) wirken die Stoffpuppen durch die Zähne in ihren Mündern. Und auch die Details der Kleidung scheinen Zeichen zu setzen. Die Vulven am Kimono und die Piranhas aus Gold, die aus den Ärmeln schauen und bereit sind zuzubeißen irritieren. Im Text zu The Devil Travels liest man, dass es sich hierbei um den Teufel handelt, der die Persönlichkeit Sigmund Freuds angenommen hat.

Ines Doujak: The Devil Travels, Fotocredit: Fridays at the Museum

Wenn ich mir nun anschaue, was hängen geblieben ist, sind es die plakativen, angreifbaren Dinge. Oberflächlich irgendwie. Aber auch wenn ich nicht jedes der Werke eingehend betrachtet, analysiert, aufgenommen habe, so nehme ich doch das Gefühl mit, das fast alle  Arbeiten der Ausstellung vermitteln: etwas stimmt nicht mit unserer Gesellschaft. Die Künstlerinnen rütteln auf, zeigen hin, sind laut und manchmal auch leise, damit man noch besser hinhört. Auch wenn man diese feinen Noten nicht alle versteht, wenn man vor Ort ist – man nimmt sie doch mit nach Hause, denkt weiter nach und ist aus dem alltäglichen Gleichschritt gebracht.

Die Ausstellung läuft noch bis 4.10.2020
Mehr Infos gibt es auf der Website.

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